AUSSTELLUNG 17.05. – 30.06.2022
Quincentennial Foundation Museum für türkische Juden, Istanbul
kuratiert vom Österreichischen Kulturforum Istanbul

Am zweiten Jahrestag der Befreiung von Auschwitz begann Ernst F. Brod (1901–1978) mit dem Schreiben seiner Autobiographie. Er war 1934 zu Fuß vor dem Austrofaschismus nach Paris und Ende 1937 vor dem Nationalsozialismus in die Türkei geflohen. Seine Mutter und sein Bruder blieben in Österreich zurück, wurden enteignet und ermordet.
Für das Museum „Erlauf Erinnert“ machten der Musiker Roman Britschgi und die Künstlerin Heidi Schatzl Brods ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimat und die dort nach dem Krieg verschütteten Erinnerungen 2017 zum Ausgangspunkt ihrer Arbeiten. Britschgi verfasste dieses unter dem Titel „notions“ musikalisch. Schatzl konstruierte aus Brods unveröffentlichter, 2000-seitiger Autobiographie einen Erinnerungsspeicher, ein ausgelagertes, kollektives Gedächtnis des Dorfes, das die Geschichte des Nationalsozialismus anhand von Nebenschauplätzen erzählt. Mit seinem Herkunftsort Erlauf war Brod zeitlebens in brieflichem Kontakt geblieben, der Türkei verdankte er sein Überleben.
Der nur aus Bildern bestehende Erinnerungsspeicher im Jüdischen Museum, dient der Künstlerin als assoziatives Grundgerüst, von dem aus sie weiter agiert und Ernst F. Brods prekäre Situation als Flüchtling, der als gut ausgebildeter Bauingenieur an der Modernisierung der Türkei beteiligt war (u. a. am Parlamentsgebäude in Ankara), wissenschaftlich von der Historikerin Julia Brigitte Fröhlich untersuchen ließ. Auf vier Bildsäulen verdichtet sich Brods politisches Denken: Es geht hier um das „Ende der Gleichheit vor dem Gesetz“, das für ihn bereits mit dem Justizpalastbrand 1927 begann, die Etablierung des Faschismus in Österreich 1934, die Pariser Weltausstellung von 1937 (wo er seine zukünftige Frau kennenlernte) oder um Brods Einbindung in den Aufbau der Moderne als Ingenieur beim Bau des von Clemens Holzmeister geplanten Parlaments in Ankara. Weder seine vom späteren Papst Johannes XXIII. autorisierte und in St. Georg 1940 geschlossene Ehe mit der Tschechoslowakin Charlotte M. Zwiener (1911–1980), noch ihre in der Türkei geborenen Kinder, Ernst J. (* 1940), Charlotte E. (* 1942) und John G. (* 1943), wurden von den österreichischen Nachkriegsbehörden anerkannt. Nach einem verzweifelt an den US-Präsidenten 1948 persönlich gerichteten Brief, konnte Brod mit seiner Familie gemeinsam in die USA emigrieren, wo Sohn George S. 1949 geboren wurde. Briefe, die von Brods Tochter und Enkeltochter gelesen werden, geben Einblick, was der Entzug der Staatsbürgerschaft zeitlebens für ihn bedeutete. Seinen Kindern erzählte Brod nur von der Schönheit Österreichs, erst in den letzten zehn Lebensjahren begann er seine Aufzeichnungen als Vermächtnis schreibend zu verarbeiten.
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